Cheerleading Nationalteam – Ein Traum wird wahr

Wenn man an zurückliegende Ereignisse denkt ist es manchmal überraschend, wie weit sie in der Vergangenheit liegen, obwohl man sich noch an jedes einzelne Detail erinnern kann. So geht es mir mit dem Jahr 2013 – ganz konkret um die Teilnahme am Deutschen Cheerleader Nationalteam. 2012 kam lud der CCVD (Cheerleader und Cheer Dance Verband) ein, sich für das deutsche Nationalteam zu bewerben. Es war das erste Mal, dass man sich als Einzelperson oder in einem Groupstunt [drei Bases (Personen die den Flyer in die Lüfte werfen) unten und ein Flyer (Person, meistens eine Frau, die durch die Luft geworfen wird) oben] bewerben konnte. Seit 2009 gibt es die ICU Cheer-Weltmeisterschaft und in den Jahren vor 2013 wurde das Gewinnerteam der Deutschen Meisterschaft zur Weltmeisterschaft nach Orlando geschickt.

2013 sollte es zum ersten Mal ein „echtes“ Nationalteam geben – die besten Athleten*innen aus ganz Deutschland. Zu dem Zeitpunkt war ich im Cheerleading sehr aktiv und sowohl mit meinem ganzen Team als auch mit meiner Stuntgroup (Synonym für Groupstunt) erfolgreich auf Meisterschaften unterwegs. Als wir vom Aufruf für das Nationalteam hörten war uns sofort klar, dass wir uns bewerben mussten. 

Das Try-Out 

Im Oktober 2012 fuhren wir zu fünft in die Nähe von Bonn, wo das Try-Out stattfand. In der Halle herrschte eine unglaubliche Energie. Einzelne Stuntgroups und Tumbler*innen (Turner*innen) wärmten sich bereits auf und zeigten ihre Skills. Andere saßen noch auf der Tribüne oder stretchten sich vor. Natürlich kannte man schon die ein oder anderen Personen, schließlich ist Cheer-Deutschland nicht sonderlich groß (vor allem vor 10 Jahren) und auf der ein oder anderen Meisterschaft war man sich entsprechend begegnet oder sogar im gleichen Team gewesen.

Irgendwann, nachdem sich alle angemeldet und das Warm-up beendet war, begann der offizielle Part. Wir wurden in zwei Gruppen eingeteilt: Die Bewerberinnen des Senior AllGirl-Teams (nur Frauen) und die Bewerber*innen des Senior Coed-Teams (Männer und Frauen gemixt). Tanja, die sich eigentlich als Tumblerin für das AllGirl-Team bewerben wollte, hatte sich kurzfristig umentschieden und sich für das Coed-Team beworben. Nun hieß es Ruhe bewahren und die verlangten Skills perfekt vorzuführen – wie in einem richtigen Team alle Stuntgroups gleichzeitig. Die Stunts (Flyer wird von Bases hochgehoben und zieht verschiedene Bodypositionen) wurden immer schwieriger, doch wir konnten mithalten. Nach einer kurzen Pause waren Baskets (Flyer wird von Bases in die Luft geworfen und vollzieht verschiedenste Drehungen) an der Reihe. Auch hier konnten wir bis fast zum Schluss mithalten. Die Schraube hatten wir erst kürzlich in unser Repertoire mit aufgenommen und speziell auch für das Try-Out trainiert. Sie war zwar noch nicht hundert Prozent sauber, doch wir Bases schmissen mit aller Kraft, unser Flyer Chrissy drehte sich einmal um die Längs- und Querachse und schon konnten wir sie wieder auffangen. Diese Mischung aus Adrenalin, Stolz und Freude, dass niemand verletzt ist nach einer gut gelungenen Rückwärtsschraube ist schwer zu erklären. Beim X-Out-Full-Basket (Rückwärtssalto, bei dem Kopfüber Hände und Beide ausgespreizt werden um dann eine Drehung um die Längsachse zu erzielen) mussten wir dann zwar passen, aber bis auf eine Stuntgroup konnte das auch sonst keiner bei den AllGirls.

Nachdem einzelne Stunts nun abgefrühstückt waren, ging es an Stunt-Kombinationen. Von unseren Nationalteam-Coaches Lisa und Jula wurden uns verschiedene Stunt-Kombinationen genannt, für die wir eine bestimmte Zeit hatten, um diese dann vorzuführen. Auch hier konnten wir mit sauber ausgeführten Elementen Punkte sammeln.

Nach einer weiteren Pause ging es an die Tumbling-Künste. Hier lag unser Schwachpunkt. Nur Chrissy, unser Flyer, konnte richtig tumbeln. Bei mir hörte es mit einer Vorwärtsrolle (ich meine wirklich den Purzelbaum und nicht irgendwie einen gesprungenen Vorwärtssalto in der Luft) auch schon auf, während Sabrina und Vanessa wenigstens noch einen Bogengang machen konnten.

Die wichtigsten Skills waren gezeigt, die Athleten*innen erschöpft aber vom Adrenalin noch völlig aufgepeitscht – die Entscheidung fiel an. Würden wir es schaffen? Es waren wirklich sehr viele gute Athleten*innen da. Zum Schluss konnten es aber nur 25 ins Team schaffen. Die Coaches riefen alle zur Matte und nacheinander wurden die Flyer aufgerufen, deren Stuntgroup ins Nationalteam gewählt wurde. Als die Coaches Christiana riefen, gab es nicht wie sonst einen Freudenschrei, sondern alle blickten sich suchend um, wer der glückliche Stuntgroup sein sollte. Als immer mehr Augen auf uns gerichtet waren und Lisa dann nochmal den Namen nannte, bzw. dann den Spitznamen Chrissy verwendete, wechselte unser fragendes Gesicht langsam in Freude um. Wir waren gemeint! Wir nannten Chrissy NIE Christiana, weshalb wir einfach nicht darauf gefasst waren, diesen Namen zu hören. Aber so hatten wir alle nochmal etwas zu lachen und die Anspannung viel direkt von uns. Wir hatten es geschafft. Wir waren Teil des Nationalteams 2013 und würden Deutschland auf der Weltmeisterschaft in Orlando, Florida vertreten.

Ab Januar 2013 hatten wir mehrere Trainingswochenenden in ganz Deutschland verteilt, um die zweieinhalb-minütige Routine zu erlernen und uns als Team aneinander zu gewöhnen. Letzteres war einfach, hatten wir doch alle denselben Traum und das gleiche Ziel: Unser Können auf internationaler Ebene zeigen und den bestmöglichen Platz erreichen. Um an allen Trainings teilnehmen zu können, verkürzte ich sogar meinen Urlaub und verschob meinen Rückflug aus Australien um ca. 1,5 Wochen.

Mitte April 2013 ging es dann wirklich los. Von Frankfurt über Atlanta nach Orlando. Wir hatten gerade den Check-in in Frankfurt hinter uns gebracht als mein Telefon klingelte und mir mitgeteilt wurde, dass mein Opa in der Nacht gestorben sei. Zum Glück standen wir gerade an einer Bank und ich konnte mich hinsetzen. Mein Opa war nicht schlimm krank gewesen, jedenfalls nicht so, dass man jederzeit mit seinem Tod hätte rechnen können. Natürlich hatte er Gebrechen, wie jeder alte Mann, doch nun war er einfach gestorben – eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. Ich war sprachlos und wusste nicht, was ich machen sollte. Meine Teamkameradinnen sahen mir natürlich an, dass etwas schlimmes passiert war und als ich aufgelegt hatte und es ihnen erzählte, kamen mir die Tränen. Nachdem ich mich in der Umarmung meiner Teamkolleginnen etwas ausgeweint hatte, war die große Frage, was ich machen würde. Sollte ich in die USA fliegen? Oder sollte ich daheimbleiben? Die Antwort zu finden war nicht einfach und trotzdem leicht. 

Fliegen oder nicht fliegen – Das war hier die Frage

Cheerleading war (und ist) meine Passion. Es gibt für mich nichts Schöneres als in die Halle zu gehen, mit meinen Team die Grenzen des Machbaren auszutesten und glücklich auf dem Boden zu liegen, nachdem wir ein Full-Out (2:30 Min. Routine) erfolgreich ohne Patzer durchlaufen hatten. Als ich meinem Opa erzählt hatte, dass ich Teil des Deutschen Nationalteams war, war er sehr stolz auf mich. Ich weiß noch, wie er sich für mich gefreut hatte und es großartig fand.

Als fester Bestandteil des Teams wäre es sehr schwer geworden mich kurzfristig zu ersetzen, schließlich war ich überall involviert. Vermutlich wäre meine ganze Stuntgroup ausgetauscht durch die Ersatz-Stuntgroup worden. Doch selbst wenn sie die einzelnen Stunt- und Basket-Sequenzen konnten, die Pyramiden und Tanz-Choreos hatten sie natürlich nicht auf exakt unseren Positionen so häufig geübt wie wir. Der Traum von der Weltmeisterschaft wäre nicht nur für mich geplatzt, sondern für unser ganzes Team. 

Deshalb konnte ich mich gar nicht anders entscheiden, als zu fliegen. Meinem Opa konnte ich nicht mehr helfen. Und ich wusste, dass meine Mutter genug Unterstützung in ihrer Familie hatte und ich auch hier nicht wirklich helfen konnte. Nein, dort wo ich am meisten gebraucht wurde, war in den Sporthallen Orlandos und schließlich auf der Cheerleading Weltmeisterschaft. 

Cheerleader Stuntgroup am Frankfurter Flughafen
Wenn Cheerleader zusammen unterwegs sind wird immer gestuntet. Auch am Flughafen

Deutsches Cheerleader Nationalteam in den USA

Mit dem restlichen Nationalteam trafen wir uns zunächst in einem Hotel in Orlando. Morgens hatten wir immer zwei bis drei Stunden Training in einer anderen Cheerleader-Halle in der Umgebung. Hallen, in denen berühmte Cheer-Teams trainierten und wir fühlten uns noch mehr angespornt dadurch, dass wir in diesen Hallen trainieren durften. Nachmittags hatten wir meistens frei und konnten in den Outlets unserer Shopping-Sucht frönen. Die Stimmung war grundsätzlich fröhlich und ausgelassen. Wir wussten was wir konnten und waren positiv gestimmt. Die Trainings liefen gut, es gab kaum Fehler.

 

Für die letzte Woche vor der Weltmeisterschaft ging es dann ins Disney World Resort. Pro Stuntgroup, waren wir in einem Zimmer untergebracht. Es war fantastisch. Alles war sorgfältig ausgewählt, es war überall sauber, der Pool hatte die Form von Micky Mouse’ Kopf. Man tauchte wirklich in eine andere Realität ein. Wir trainierten nun auch auf den Grasflächen rund um unsere Unterkunft und trafen viele andere Cheerleader aus der ganzen Welt. Ein unbeschreibliches Gefühl.

Doch wir mussten nicht einzig und allein den ganzen Tag trainieren. In unserem Teilnahmeticket enthalten war auch der Eintritt für 4 Parks. Jeden Tag gingen wir in einen anderen Park – Magic Kingdom, EPCOT, Hollywood Studios und Disney’s Animal Kingdom. Jeder Park war super und hatte seine eigenen ganz speziellen Highlights. Die Hollywood Studios war der erste Park den wir besuchten. Disney World hatte dafür extra einen Abend für die teilnehmen Cheerleader reserviert. 

Disney Schloss im Disney World

Der Schwerkraft trotzen

Die Nacht war schon hereingebrochen und wir standen an dem speziellen Abend im Dunkeln vor verschlossenen Toren. Mit anderen tausenden Cheerleadern warteten wir darauf, dass sich die Schranken öffnen und wir den ganzen Park für uns alleine hatten. Endlich war es soweit und alle rannten voller Vorfreude zu den Attraktionen ihrer Wahl. Im Vorfeld hatten wir uns schon zu kleinen Grüppchen zusammengefunden, je nachdem welche Achterbahn gefahren werden wollte. Zusammen mit meiner Gruppe lief ich als erstes zum Rock’n’Roller Aerosmith Coaster. Wir hatten Glück und mussten nicht allzu lange darauf warten einsteigen zu dürfen. Von deutschen Freizeitparks gewohnt, suchten wir nach einer Ablage für unsere Handtaschen, doch die gab es nicht. Wir mussten sie mit in den Wagen nehmen und so verstaute ich meine Handtasche zwischen meinen Beinen auf dem Boden. Ich kannte die Achterbahn nicht, wusste daher nicht, worauf ich mich eingelassen hatte. Entsprechend hektisch schlug mein Herz. Dann ging die Tür vor unserem Wagen auf und wir wurden in einer enormen Geschwindigkeit in quälende Finsternis geschossen – direkt in einen Looping. Auf dem Weg aus dem Looping heraus merkte ich, wie mir meine Handtasche zwischen meinen Beinen entlang hinaus in die Dunkelheit entwischen wollte, doch dank meiner schnellen (Cheerleader-)Reflexe konnte ich die Handtasche retten und legte, während der Fahrtwind an mir riss, eine Schlaufe um mein Bein, damit sie für die restliche Fahrt gesichert war. Bei den anderen Achterbahnen war die Handtaschen-Situation genauso. Doch jetzt wussten wir Bescheid und konnten die Taschen entsprechend an unserem Körper befestigen, damit sie nicht in den Wirren der Schienen verloren gingen.

Eröffnungszeremonie und Weltmeisterschaft

Den Abend vor der Weltmeisterschaft fand die Eröffnungszeremonie im ESPN Wide World of Sports® Complex statt. Alle teilnehmenden Athleten*innen liefen pro Land in die Arena ein, konnten sich und ihr Land repräsentieren und wurden selbst willkommen geheißen. Ähnlich wie die Eröffnung bei den Olympischen Spielen, nur ohne extravagante Show drum herum.

Es war ein atemberaubendes Gefühl in eine Halle zu marschieren, in der tausende jubelnde Zuschauer*innen saßen und wie man selbst kaum abwarten konnten, die Routines der einzelnen Länder zu sehen. Entsprechend euphorisch und gehyped war unsere Stimmung am Ende der Zeremonie.

Der nächste Tag – der Tag der Weltmeisterschaft – begann mit einem leichten Training und letztem Durchgang unserer Routine. Dann ging es ans Fertigmachen: Nerven beruhigen, Haare frisieren, Nerven anderer beruhigen, schminken, noch weiter beruhigen und schließlich zum ESPN Wide World of Sports® Complex fahren. Nach einem Warm-Up standen wir erstmal in einer großen Halle zusammen mit den anderen Nationen in einer Reihe und warteten darauf an die Reihe zu können. 

Patriots im Nationalteam-Outfit
Bereit für den großen Auftritt !!!

Wir standen hinter dem Vorhang und versuchten am Gejubel der Zuschauer herauszufinden, ob bei den vorherigen Teams alles gut gelaufen war oder ob größere Drops (Stürze) passiert waren.

Wir waren die nächsten, hörten den Stadionsprecher in typischer Manier „…Teeaaaaam Germanyyyyy…“ rufen und stürmten fröhlich lachend und winkend auf die Matte. Helles Licht war auf uns gerichtet, der Rest der Halle war schwarz, die Zuschauer nur eine Geräuschkulisse ohne Gesicht. Es wirkte, als kämen die Geräusche aus den Lautsprechern und wir waren ganz allein in der Halle. Doch Zeit, genauer darüber nachzudenken oder mich umzusehen hatte ich nicht. Schnurstracks ging es auf Position und los ging es.

Auch wenn nicht alles reibungslos lief und wir den ein oder anderen Drop hatten, waren wir sehr stolz auf unsere Leistung.

Noch mit einer Freude und Hochstimmung erfüllt, setzten wir uns danach in den Zuschauerraum um unser Coed-Team anzufeuern, welches kurz nach uns auftrat. Auch hier gab es leider den ein oder anderen Wackler und Drop.

Als alle Teams ihre Routine gezeigt hatten, gab es erstmal eine Pause, in der die Punkte ausgewertet wurden. Dann kam das Ergebnis: 5. Platz. Natürlich war der 5. Platz ärgerlich, weil wir ohne Patzer sicherlich den 4. Platz hätten erreichen können. Doch trotzdem waren wir alle unglaublich stolz auf unsere Leistungen – mit dem 5. Platz den besten Platz, den ein Senior AllGirl Premier bis dahin erreicht hatte und erst dieses Jahr vom aktuellen Senior AllGirl Premier-Team um einen Platz verbessert wurde. 

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